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„Ohne konkrete Gesetze passiert zu wenig“

Wirtschaft & Standort

Welche Vorgaben braucht es, damit die „bösen Materialien“ endlich weniger werden und wir Waschmaschine und Co. länger nutzen können? Wo hat das Kunststoff-Bashing keine Berechtigung und kann man den Menschen vorschreiben, dass sie sich doch endlich wieder Zeit zum Anstellen an der Wursttheke nehmen und nicht aus Faulheit schnell zur verpackten Salami greifen sollen? Antworten von unseren Expertinnen und Experten am Runden Tisch.

Zum Einstieg in die Diskussion ein Blick auf das Positive: Was funktioniert im steirischen Ressourcenmanagement bereits gut?

Michael Meister: Es gab Zeiten bei uns, da hat man kaputte Kühlschränke einfach im Wald entsorgt, das hat niemanden interessiert. Da hat sich das Bewusstsein deutlich verbessert.

Daniela Müller-Mezin: Auch haben sich die Recyclingtechnologien deutlich verbessert. Dennoch ist es so, dass ein Großteil des Abfalls heute noch in die energetische Verwertung geht und das könnten wir massiv ändern, wenn es von oben herab getaktet wird. Und wenn gesetzlich definiert ist, dass gewisse „böse Materialien“ nicht in den Umlauf gebracht werden.

Es braucht also strengere Gesetze, um die Recyclingquoten zu erhöhen? Ist es auf der anderen Seite aber nicht auch so, dass strenge Gesetze relativ rasch eine Ablehnungshaltung zur Folge haben, wie auch die aktuelle Krise zeigt?

Judith Schwentner: Sehr viel läuft natürlich über Bewusstseinsbildung. Was man über Jahre verinnerlicht hat, spiegelt sich im Verhalten wider. Aber ich bin überzeugt davon, dass es ohne konkrete Vorgaben in gesetzlicher Hinsicht nicht funktioniert. Ich bin täglich mit vielen ideologischen Vorreiterprojekten konfrontiert, von der Reinigung der Flüsse bis hin zu verpackungsfreien Lebensmitteln. Aber wir brauchen konkrete Vorgaben, auch für die Kommune, von oben nach unten, um zu klaren Handlungsanweisungen zu kommen.

Katharina Resch-Fauster: Obwohl wir die Folgen des Klimawandels bereits deutlich spüren, wird letztlich viel zu wenig unternommen, um die Emissionen zu begrenzen. Einfach, weil es zu wenige konkrete gesetzliche Vorgaben gibt – UN-Klimakonferenzen und daraus resultierende internationale Übereinkommen sind augenscheinlich zu wenig. Demgegenüber zeigt sich momentan aber sehr deutlich, dass die EU-Vorgabe, bis 2025 50 Prozent der Kunststoffverpackungen rezyklieren zu müssen, zu einer Aufbruchsstimmung in der Branche führt. Ich spüre in der Kunststoffindustrie ganz deutlich, dass die Firmen sich da jetzt intensiv engagieren und an Lösungen arbeiten.

Über den Kunststoffbereich hinaus: Wie müssten konkrete Vorgaben in anderen Bereichen aussehen?

Ina Meyer: Ein einzelnes Instrument reicht nicht, um einen Strukturwandel weg von der linearen, hin zur Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Und derzeit gibt es für die Unternehmen ja in vielen Bereichen noch gar keinen Anreiz für umweltschonendes Handeln. Eine ökologische Steuerreform würde hier viel ändern. Aktuell besteuern wir den Faktor Arbeit sehr stark, was aber kontraproduktiv ist, wenn wir Reparaturen – und damit eine längere Produktlebensdauer – fördern wollen. Wenn der Ressourcen- und Energieverbrauch besteuert wird, wäre der Anreiz für die Unternehmen um ein Vielfaches höher, Ressourcen einzusparen und die Produktlebensdauer zu erhöhen. Derzeit ist ja auch geplante Obsoleszenz, also dass Produkte nach einer bestimmten Zeit einfach kaputt gehen, vielfach ein Thema.

 

Zitat Ina Mayer

Schwentner: Anreize zu setzen, ist sehr wichtig. In Graz haben wir seit einigen Jahren Reparaturförderungssysteme. Diese tragen auch zur Bewusstseinsbildung bei – je weniger schick es ist, Dinge neu zu kaufen, desto eher wird repariert.

Julia Schwentner

Meister: Die Reparaturfähigkeit von Produkten gehört definitiv verbessert, das weiß ich als Hobby-Bastler aus eigener Erfahrung mit alten Waschmaschinen und Co. Dass die Industrie im großen Stil Produkte so entwickelt, dass sie schnell wieder kaputt gehen, stimmt aber auch nicht. Der permanente Preisdruck sorgt für billigen Einkauf von einzelnen Komponenten, hauptsächlich aus Asien. Ein viel größeres Problem sehe ich bei den Verpackungen, da muss sich dringend was ändern. Es kann nicht sein, dass wir im Supermarkt zur verpackten Salami greifen, die in einer mit diversen Gasen behandelten Folie aus 7 Schichten steckt, nur weil wir zu faul sind, um uns an der Wursttheke anzustellen. Da müssen wir dringend das Leben entschleunigen und uns eben Zeit für gewisse Dinge nehmen. Ich wehre mich aber auch gegen ein generelles Kunststoff-Bashing, es gibt viele Bereiche, wo Recycling-Kunststoff leider einfach nicht funktioniert.

Wo liegen die Grenzen von Recycling-Material? Wo die Potenziale?

Resch-Fauster: Ich persönlich sehe zum Beispiel sehr viel Potenzial in der sortenreinen Trennung von Abfällen im Handel. Neben der eigentlichen Produktverpackung wird die Ware für die Anlieferung zunächst in Überverpackungen gebündelt (hier kommen z. B. häufig Folien zum Einsatz) und schließlich mittels Folien auf den Paletten fixiert. Wenn ich diese Folien sortenrein sammle, könnte ich sie sehr effizient aufbereiten und für denselben Anwendungszweck wieder einsetzen. Meister: Grenzen von Recycling-Material sehe ich im Medizintechnik- oder Automobilbereich. Da muss ein Kunststoff hohe Hygiene- und Sicherheitsanforderungen erfüllen, das funktioniert mit Rezyklat vielfach nicht. Aber es gibt sicher noch viel Potenzial: Wir haben in Österreich 17 Millionen Zahnbürsten im Jahr, die wir im Restmüll entsorgen. Da werden Rohstoffe allerbesten Güte verschwendet und in Zementwerken verbrannt.

Katharina Resch-Fauster

Müller-Mezin: Es geht auch nicht darum, dass man überall Recycling-Materialien einsetzen muss. Die Anti-Kunststoff-Hysterie mit Wattestäbchen aus Bambus finde ich übertrieben. Aber der „dumme Kunststoff“ muss weg, um Roland Pomberger von der Montanuni Leoben zu zitieren. Und es ist schon so, dass der Einsatz von Rezyklat eine Preisfrage ist – solange der Primärrohstoff billiger ist, wird sich nichts ändern. Da sind wir wieder bei den Vorgaben. In der Forschung tut sich ja immens viel, aber in der Praxis ist es nach wie vor so, dass du auf deinem Kunststoffgranulat sitzen bleibst. Das geht mir alles viel zu langsam. Wie bringt man mehr Tempo in die Entwicklung? Meyer: Ein möglicher Anreiz wäre, neue Geschäftsmodelle zu fördern. Solange ein Unternehmen nur durch den Produktverkauf Gewinn macht, wird sich wenig ändern. Wenn aber gesetzlich definiert ist, dass Produkte eine bestimmte Lebensdauer haben müssen, überlegen sich Unternehmen Produktservices, die dann rentabel werden. Auch Anreize für Konsumenten – etwa über ein Pfandsystem – sind ein sehr effektives Instrument, um Materialien im Kreislauf zu führen.

Stichwort Verantwortung des Konsumenten: Wie halten Sie es persönlich damit?

Schwentner: Auch wenn es banal klingt, aber das Vermeiden von Abfall ist für mich eigentlich das Wichtigste. Das ist ja auch in der Abfallhierarchie klar definiert. Dieses Vermeiden muss ich nicht nur als Individuum leben – auch auf politischer Ebene fördern wir das. Als Konsumentin kann ich da auch Druck ausüben und Dinge einfordern, was nicht zuletzt die Mehrweg-Flaschen gezeigt haben.

Müller-Mezin: Vermeidung ist das Wichtigste. Aber der Mensch geht leider den Weg des geringsten Widerstandes – da nehme ich mich selbst nicht aus. Solange ich nicht die Vorgaben von oben bekomme …

Schon in Österreich zeigt sich, dass die Vorgaben – etwa für die Mülltrennung – regional sehr unterschiedlich sind. Bräuchte es hier nicht eine Vereinheitlichung?

Schwentner: Ja. Die EU-Kunststoffstrategie geht ja bereits in diese Richtung. Meyer: Gerade bei Vorgaben wie z. B. der Recyclingfähigkeit oder einer definierten Mindestlebensdauer muss ich das eigentlich weltweit sehen. Es dürfen nur mehr Produkte importiert werden, die diesen Standards entsprechen. Da bräuchte man gewissermaßen digitale Produktpässe, in denen die betreffenden Infos festgeschrieben sind. Resch-Fauster. Wenn ich daran denke, dass für die Einführung des elektronischen Impfpasses in einem kleinen Land wie Österreich 22 Jahre anberaumt waren, stelle ich mir einen solchen internationalen Produktpass schwierig vor, auch wenn es ein spannender Ansatz ist. Aber wäre es nicht besser, wenn wir die Produktionen überhaupt wieder mehr zurück nach Europa bringen würden?

Müller-Mezin: Das ist ein wesentlicher Punkt und das sollte auch eines unserer großen Ziele sein. Auch, damit alles wieder überschaubarer wird. Oft kann man dem Konsumenten ja gar keinen Vorwurf machen, dass er keine Ahnung hat, was in seinem Produkt alles drinnen ist. Und selbst wenn er weiß, dass in seinem blinkenden Turnschuh eine Batterie drinnen ist, die auf Recyclinganlagen tagtäglich zu Bränden führt, hilft das wenig – wie soll er den Turnschuh zerlegen? Das kann nur funktionieren, wenn die Recyclingfähigkeit von Produkten genauso gesetzlich definiert ist, wie bestimmte Sicherheitsanforderungen.

Zitat Daniela Müller-Mezin

Meister: Es steht außer Frage, dass es im Recycling noch viel Potenzial gibt. Ich verwehre mich aber auch dagegen, dass die Kunststoff-Branche gewissermaßen als „Buh-Mann“ der Nation hingestellt wird. Wie jedes Produkt hat Kunststoff schlechte Anwendungen und gute. Und er ist uns oft viel näher, als wir denken. Ich persönlich möchte in meiner Unterhose auch weiterhin einen Gummi aus Kunststoff haben.

Es diskutierten am Runden Tisch für das Magazin ROHSTOFF:

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