Diskussionsrunde beim Runden Tisch

Nachhaltigkeit – nicht um jeden Preis

Wirtschaft & Standort

Das Thema Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Klima-bewusstsein geht uns alle an. Konsument oder Unternehmer, Wirtschaft oder Forschung – wer hat es wirklich in der Hand, Kreislaufwirtschaft zu forcieren, Ressourcen zu schützen und Nachhaltigkeit zu leben. Es kommt nicht alleine auf einen Player in diesem komplexen Zusammenwirken an, sind sich unsere Expertinnen und Experten bei der Diskussion am Runden Tisch einig.

Regionale Produkte kaufen, vom Auto aufs Lastenrad umsteigen oder das E-Auto mit dem am eigenen Dach erzeugten Sonnenstrom betanken – nehmen wir als Konsumenten unsere gesellschaftliche Verantwortung beim Thema Nachhaltigkeit wahr und handeln entsprechend?

Christoph Holzer: Das lässt sich pauschal leider so nicht sagen. Die Covid-Pandemie hat das Kaufverhalten zugunsten der Regionalität positiv verändert. Das haben wir im Einzelhandel deutlich gespürt. Doch bereits seit Anfang 2022, als die Inflation zu steigen begann, haben wir eine Trendwende erlebt, die durch den Ukrainekrieg und die Hochinflation natürlich befeuert wurde. Seither ist im Kaufverhalten fast nur noch der Preis für die Konsumenten ausschlaggebend. Ein einfaches Beispiel: Hat man früher 10 Deka Wurst an der Bedientheke verlangt, fragt man heute nur mehr nach 8 Blatt. Auch der Absatz der günstigen Eigenmarken hat deutlich zugenommen – die höchste Verlustquote erleben wir gerade bei exklusiveren, regionalen Produkten. Wir werden sehen, wie sich das Kaufverhalten entwickelt, wenn sich die Inflation wieder in einem normalen Rahmen befindet. Sicher greifen die Kunden dann wieder bewusster zu regionalen Produkten. Aktuell beeinflusst der Wunsch nach Regionalität und Nachhaltigkeit das tatsächliche Kaufverhalten deutlich weniger.

Michael Ehret: Der Aspekt der Nachhaltigkeit spielt beim Konsum nicht im abstrakten Sinn eine Rolle – sondern vor allem dann, wenn man unmittelbar betroffen ist. Bestes Beispiel innerhalb der EU ist die Babynahrung – hier wird bei der Wahl des Produkts besonders viel Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Das sieht man im Kaufverhalten. Der Preis ist hier hingegen nicht ausschlaggebend.

Roland Fink: Bei unseren Onlineshops hat Regionalität für die Kaufentscheidung unserer Kunden nie eine große Rolle gespielt, auch wenn wir als Unternehmen stark auf Nachhaltigkeit setzen. Die Qualität muss für unsere Kunden stimmen. Allerdings merken auch wir, dass die Kunden preissensitiv geworden sind.

Daniela Müller-Mezin: Wenn die Preise das Kaufverhalten stark zu bestimmen scheinen, ist es für mich umso mehr verwunderlich, dass der Anteil weggeworfener Lebensmittel hierzulande immer noch sehr hoch ist. Das belegen nämlich die Zahlen aus der Abfallwirtschaft. Nachvollziehbar ist das für mich persönlich nicht. Ein sinnvolles Haushaltsmanagement und weniger Lebensmittelverschwendung würden jedem Haushalt auch helfen, einzusparen.

Diskutieren am "Runden Tisch" (v.l.): Christoph Holzer, Michael Ehret, Daniela Müller-Mezin und Roland Fink.

Welche Rolle spielt eigentlich Marketing in diesem Zusammenhang?

Michael Ehret: In Bezug auf Nachhaltigkeit kann Marketing auch das Gegenteil von dem bewirken, was der ursprüngliche Gedanke war. Und dann kann das Konsumverhalten kontraproduktiv sein, auch wenn der Grundgedanke nachhaltig war. Das ist auch bei den Verbrauchern der Fall, die besonders an Nachhaltigkeit orientiert sind: Was sie oft nicht bedenken – wenn ich mir jedes Mal das neueste Modell eines an sich nachhaltigen Produkts kaufe, ist dieses Konsumverhalten alles andere als ressourcenschonend. Im Business-to-Business Marketing entkoppeln inzwischen eine zunehmende Zahl von Unternehmen den Service vom Ressourcenverbrauch. Beispielsweise bietet das Philips Spin-off „Signify“ Licht als Service für Organisationen an. In der Eisenerzeugung haben Innovationen wie Lichtbogenöfen günstige Verwertungsmöglichkeiten für Schrottmetalle geschaffen. Angesichts der globalen Ausweitung des Konsums bei begrenzten Ressourcen werden Geschäftsmodelle zur Wiederverwertung und Schonung von Ressourcen essentiell.

Christoph Holzer: Dem Konsumenten wird es ganz ehrlich auch nicht gerade leicht gemacht, sich nach ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig „richtig“ zu verhalten. Nehmen wir als Beispiel das Plastiksackerlverbot. Diese politisch getroffene Entscheidung macht aus Sicht der Nachhaltigkeit wenig Sinn, ist ein Papiersackerl doch maximal 1 bis 2 Mal im Umlauf, bis es weggeworfen wird. Ein Plastiksackerl hat aufgrund seiner Stabilität einen deutlich längeren Lebenszyklus.

Daniela Müller-Mezin: Zudem lässt sich Plastik heute bereits sehr gut recyclen. In der Abfallverwertung haben wir ein ähnliches Problem mit den angeblich recyclebaren Biomüllsackerln. Das ist gut gemeint, funktioniert so aber nicht, oder nur mit extrem hohem Aufwand. Der Verbraucher wird in diesem Fall dank des umweltfreundlichen Marketings eigentlich getäuscht, wenn er denkt, damit nachhaltig zu handeln. Kunststoffe bringen natürlich genügend Probleme mit sich, siehe Mikroplastik, aber nur verteufeln darf man sie auch nicht. In manchen Fällen können sie die nachhaltigere Lösung sein.

Roland Fink: Für mich ist ein anderer Faktor entscheidend: Krieg und Inflation sind zwar aktuell spürbare Herausforderungen in der Preisentwicklung, aber die eigentliche Herausforderung ist der Klimawandel. Aber den spüren wir noch nicht, deswegen verhalten wir uns auch nicht entsprechend, was wir im aktuell wenig nachhaltigen Konsumverhalten ganz deutlich sehen. Übrigens: Für den Kunden ist Nachhaltigkeit oft ganz banal, zum Beispiel wenn er statt einer Plastik- eine Papierverpackung bekommt. Ob das die nachhaltigere Variante ist, kann er kaum überprüfen.

Christoph Holzer: Das Thema Nachhaltigkeit ist auch mit Marketing beim Konsumenten derzeit nicht breitenwirksam zu gestalten. Bei der Käufergruppe, der es so und so wichtig ist, kommt es an. Die breite Masse aber erreichen wir damit nicht. Hier spielen andere Faktoren, wie eben der Preis, eine Rolle, aber auch die Unwissenheit beim Konsumenten über seine Rolle im Nachhaltigkeitskreislauf.

Welche Rolle müssen also die Wirtschaft, die Industrie und auch der Einzelhandel einnehmen, um den Konsum nachhaltig und ressourcenschonend zu gestalten?

Daniela Müller-Mezin: Geschäftsleute stehen hier immer vor einer Abwägung von Kosten und Nutzen. In der Logistik sind wir vor allem im Bereich der Brennstoffe bzw. E-Mobilität mit einem großen Wandel konfrontiert. Wir nutzen HVO-Kraftstoff bereits im Unternehmen für unsere Flotte. Allerdings ist es auch hier eine Frage des Preises gegenüber konventionellen Kraftstoffen, verbunden mit der Herausforderung, an wen ich diese Preissteigerung als Unternehmerin weitergeben soll. Positiv ist allerdings, dass wir durch den Einsatz von HVO keinen Leistungsverlust haben und über 90 % CO2 neutral fahren.

Christoph Holzer: Wir haben in Pilot-Filialen lose Ware zum Selbstabfüllen angeboten. Das wurde nicht angenommen. Auch, weil die Verbraucher dachten, die Ware sei viel teurer als das abgepackte Produkt im Regal. Obwohl das nicht stimmt. Nur wurde an den Selbstabfüllern in der Regel eine größere Menge gekauft, was den vermeintlich höheren Preis gegenüber demselben Produkt, das im Regal lag, zur Folge hatte. Daher haben die Kunden wieder abgepackt gekauft statt selbst abgefüllt. Aus diesem Grund stellen wir das Projekt nun wieder ein.

Roland Fink: Wir Unternehmer handeln zu selten aus nachhaltigen Motiven. Dabei braucht es Unternehmen, die vorangehen, bevor etwas zum Trend wird, wie E-LKW testen und PV-Anlagen zur Stromgewinnung installieren. Vor 7 Jahren haben wir uns im Unternehmen bewusst gegen einen Gasanschluss und für eine Wärmepumpe entschieden, weil es im Sinne der Nachhaltigkeit für uns der bessere Weg war. Heute setzt jeder Unternehmer auf PV-Anlagen – aber nicht, um Ressourcen zu schonen und gegen den Klimawandel vorzugehen, sondern um Kosten zu sparen.

Wo muss dann der Durchbruch herkommen, damit der Wirtschaftskreislauf nachhaltiger wird?

Roland Fink: Als Unternehmer habe ich schon bemerkt, dass Nachhaltigkeit gefragt ist. Allerdings an anderer Stelle – und zwar bei meinen Mitarbeitern. Die finden das gut und das spricht sich rum. Daher habe ich auch keine Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Auch über diese Schiene können wir als Unternehmer Vorbild sein, etwas bewirken und damit für Nachhaltigkeit sensibilisieren.

Michael Ehret: Wir wissen, den Konsumenten sind klare Grenzen gesetzt, denn vieles passiert auf der Angebotsseite. Darauf hat der Verbraucher keinen Einfluss. Aus der Forschung wissen wir, dass die Unternehmen untereinander Druck erzeugen können, der etwas bewirkt. Etwa durch Standards, die innerhalb der Produktions- und Lieferkette eingefordert werden. Diese etablieren sich oft schneller, als Politik mit Vorgaben reagieren kann.

Christoph Holzer: Im Einzelhandel gibt es sicherlich Verbesserungspotenzial. Aktuell funktioniert das System so: Es gibt immer wieder Überangebote in der landwirtschaftlichen Produktion und teilweise helfen Aktionen im Handel dabei, diese Überangebote abzusetzen. Als letztes Glied in der Kette reagiert der Konsument auf Aktionen - und der Österreicher ist in seinem Einkaufsverhalten prinzipiell deutlich aktionslastiger als z. B. der Deutsche, was wiederum dafür sorgen kann, dass mehr Lebensmittel im Müll landen. Letztlich müssen wir uns fragen, wie wir diesen Wirtschaftskreislauf nachhaltiger gestalten können. Wichtig wäre es, dem Konsumenten den Wert einer Ware wieder klar zu machen, damit sich ein bewusst regional und saisonal orientiertes Einkaufsverhalten stärker entwickelt.

Das umstrittene Plastiksackerlverbot, EU-weite Recyclingquoten, das Pfandsystem, das nun auch in Österreich kommt – auch die Politik bemüht sich um Nachhaltigkeit. Doch welche Vorgaben sind sinnvoll und tatsächlich im Sinne der Ressourcenschonung wegweisend? Und brauchen wir sie überhaupt?

Christoph Holzer: Natürlich brauchen wir auch Vorgaben aus der Politik, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Verbote wie beim Plastiksackerl sind aber nicht zielführend. Im Gegenteil, sie können sogar zu noch mehr Ressourcenverbrauch führen, denken wir an all die Mehrweg-Einkaufstaschen, die wir alle inzwischen zu Hause haben. Vielmehr brauchen wir eine Politik, die das Thema Nachhaltigkeit auch wirklich vorlebt und umsetzen will. Hier sehe ich gerade in Österreich – leider – noch viel Luft nach oben.

Roland Fink: Zum Glück entwickelt sich auch vieles aus der Wirtschaft und den Unternehmen heraus, etwa wenn der Handel gegenüber der Industrie Forderungen an Produktionsbedingungen stellt. Doch das alleine wird nicht reichen. Es wird nicht ohne den politischen Willen gehen. Daher brauchen wir nicht unbedingt mehr, sondern die richtigen Vorgaben – etwa innerhalb der EU einheitliche Recyclingregeln und nicht 27 verschiedene Systeme.

AM RUNDEN TISCH:

  • Michael Ehret, Professor für Marketing und Digitalisierung an der Karl-Franzens-Universität Graz
  • Daniela Müller-Mezin, Geschäftsführerin Müllex-Umwelt-Säuberung GmbH und Obfrau der FG Entsorgungs- und Ressourcenmanagement in der WKO Steiermark
  • Christoph Holzer, Geschäftsführer bei SPAR Zentral Graz für Steiermark und Südburgenland
  • Roland Fink, Gründer und Geschäftsführer der niceshops Gruppe, die rund 40 unterschiedliche Onlineshop-Brands betreibt und rund 1,7 Millionen aktive Kundinnen und Kunden in 16 Sprachen serviciert
Diskussion mit Michael Ehret

Michael Ehret ist Universitätsprofessor für Marketing.

 

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Diskussion mit Christoph Holzer

Christoph Holzer ist Geschäftsführer bei SPAR Zentral Graz für Steiermark und Südburgenland.

 

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Daniela Müller-Mezin ist Unternehmerin und Obfrau der Fachgruppe FG Entsorgungs- und Ressourcenmanagement.

 

Diskussion mit Roland Fink

Onlineshops sind das Thema von Roland Fink, Gründer der niceshops Gruppe.

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