Leben & Gesellschaft
Wir könnten den Schweizer Weg gehen und ausländische Erdbeeren so hoch verzollen, dass sie keiner kauft. Jammern und sich gegenseitig die Schuld zuschieben führt aber nicht dazu, dass nachhaltiger Konsum Alltag wird. Bergbauer Hannes Royer, Gründer des Vereins „Land schafft Leben“, sieht eine große Verantwortung bei den Konsumenten. Es geht aber nicht um die Rettung der „armen Bauern“, sondern um unseren Lebensraum und um unsere eigene Ernährung. Aber was muss sich ändern, damit sich endlich etwas ändert?
Egal ob über Skandale oder Bewusstseinskampagnen: Der Wert von Lebensmitteln ist seit Jahren Dauerthema. Der Handel wirbt aber nach wie vor mit Fleisch zum Diskont-Preis, der Konsument greift gerne zu. Ist es zu wenig, an die Vernunft der Menschen zu appellieren?
Hannes Royer: Das Bewusstsein hat sich schon verändert, der Anteil der Direktvermarktung wächst. Allerdings steckt das alles noch in den Kinderschuhen. Fakt ist, dass wir Konsumenten beim Einkaufen derzeit noch skrupellos sind. Der Tanz ums goldene Kalb ist ein Kasperltheater dagegen. Es gibt Marktanalysen, die zeigen, dass wir schon wegen 10 Cent Preisunterschied zum Mitbewerber gehen. Wenn das Schnitzelfleisch beim Konkurrenten um 10 Cent billiger ist, gehen wir dort hin. Wir haben aber nur deshalb so billige Lebensmittel, weil andere den Preis dafür bezahlen. Das geht auf Kosten von Menschen, die unter schlechten Bedingungen Lebensmittel für uns herstellen, die wir dann importieren, aber auch anderer wichtiger Faktoren wie Umwelt und Tierwohl.
Nachhaltiger Konsum braucht Verantwortung
Spannend ist auch, dass wir fast 63 Kilo Fleisch pro Jahr essen, die Tiere aber nicht selbst schlachten wollen. Und das ist nicht nur bei den Lebensmitteln so – siehe osteuropäische Altenpflegerinnen. Unser Wohlstand gründet auf der Ausbeutung anderer. Eigentlich sollte am Bio-Spargel aus Italien draufstehen, dass derjenige, der ihn geerntet hat, seine Familie nicht ernähren kann. Sonst kann es nämlich nicht sein, dass er so billig ist. Wir leben im Luxus und haben eine immense Freiheit, da muss ich als Einzelner auch Verantwortung übernehmen.
Der andere Weg wäre der chinesische, da hat der Einzelne wenig Freiheit. Ich denke aber nicht, dass wir das wollen. Uns muss selbst bewusst sein, dass man keinen Mercedes zum Dacia-Preis kaufen kann. Wir produzieren in Österreich auf sehr hohem Niveau, vor allem im Bio-Bereich, das gibt es nicht zum Diskont-Preis.
Die Arbeitslosigkeit steigt, wir befinden uns mitten in einer Wirtschaftskrise. Kann man den Konsumenten gerade da höhere Lebensmittelpreise zumuten?
Hannes Royer: Wir könnten schon um ein Drittel mehr bezahlen, wenn wir nicht ein Drittel unserer Lebensmittel wegschmeißen würden. Und leider ist es so, dass gerade in Haushalten mit geringerem Einkommen am meisten weggeworfen wird. Das liegt vielleicht auch daran, dass hier gerne Aktionen wie 5+3 gratis in Anspruch genommen werden. Abgesehen davon ist es auch grotesk, dass wir bei Autos und Fernsehern weniger aufs Geld schauen, als bei den Lebensmitteln. Und es geht da auch nicht darum, dass die Konsumenten die armen Bauern retten sollen.
Es gibt kaum etwas Intimeres als Essen
Es geht um unsere eigene Gesundheit: Wir essen jedes Jahr eine Tonne Lebensmittel und es gibt – neben Sex – nichts Intimeres als Essen. Das alles hat eine unmittelbare Wirkung. Beispielsweise werden Vitamine und Mineralstoffe von frischem Obst und Gemüse mit jeder Stunde, die zwischen Feld und Mund vergeht, weniger. Diese Tatsache ist auch vielfach bestätigt – abgesehen davon, dass es einen wahnsinnigen Geschmacksunterschied gibt.
Wären strengere Gesetze und Steuern ein sinnvolles Regulativ?
Hannes Royer: Ich bin grundsätzlich ein Freund der freien Marktwirtschaft und wir haben mit der EU auch einen Binnenmarkt. Der Weg der Schweiz – den Zoll auf ausländische Erdbeeren so hoch anzusetzen, dass sie keiner kauft – kann daher nicht unserer sein. Man muss auch nicht in totalen Nationalstolz verfallen. Aber dass wir tonnenweise Äpfel nach Südamerika exportieren und dort den Preis kaputt machen und die Holländer dasselbe mit ihren Bio-Kartoffeln bei uns machen, kann nicht sein. Da muss es entweder ein Regulativ geben oder der Konsument sagt: Er spielt da nicht mit.
Kennzeichnung beeinflusst das Thema nachhaltiger Konsum
Dazu muss man sich aber auch die Kennzeichnung noch genauer anschauen. Gibt es nicht ohnehin bereits genug Gütesiegel und mit Allergenkennzeichnung und Co. genug bürokratischen Aufwand für die Betriebe? Bei verarbeiteten Produkten ist die Herkunft für den Konsumenten in den allermeisten Fällen noch völlig intransparent. Auf einer Wurst können die Zutaten beispielsweise aus 5 verschiedenen Ländern kommen und ich weiß es nicht. Und ein Gastronom müsste nur im Großhandel sagen: Ich will nur österreichisches Fleisch. Den Aufwand, auf die Speisekarte zu schreiben, dass das Fleisch für Schnitzel aus Österreich kommt, kann man wirklich jedem zumuten. Die Bürokratie ist eine willkommene Ausrede, in Wahrheit geht es um den Preis. Das holländische Kalbfleisch ist um Welten billiger als das österreichische.
Womit wir wieder beim Anfang wären: Den höheren Preis will niemand zahlen …
Hannes Royer: Es sind immer mehr Menschen bereit, einen höheren Preis für hochwertige Lebensmittel zu zahlen, der Anteil der Bio-Produkte steigt deutlich. Auch interessiert die Leute mehr und mehr, wie Lebensmittel produziert werden. Wir stellen das auf unserer Website dar und hatten in den letzten Monaten zeitweise sogar um 900 Prozent mehr Zugriffe als im Vorjahr. Aber es gibt noch viel zu tun und es hilft uns nichts, wenn der eine dem anderen die Verantwortung zuschiebt, wir sind alle gefragt. Wenn wir Bauern nur jammern, wird sich nichts ändern. Wenn ich einen Mercedes verkaufen will, muss ich klarmachen, dass das High-End-Qualität ist.
Es geht nicht um Mitleid
Ich habe „Land schafft Leben“ nicht gegründet, um Mitleid für die armen Bauern zu erhaschen, sondern um zu zeigen, wie wir in Österreich Lebensmittel produzieren – damit der Konsument bewusste Kaufentscheidungen treffen kann. Ich appelliere auch an die Politik: Wir müssen die Lebensmittelproduktion genauso an den Schulen unterrichten, wie die Mülltrennung. Und uns muss bewusst sein: Wir als einzelne vergeben den Produktionsauftrag, nicht die Konzerne. Wenn heute mehr Bio-Milch gekauft wird, wird morgen mehr davon in den Regalen stehen. Beim Klimawandel dauert es oft viel länger, bis man die Wirkung von Veränderungen sieht. Beim Einkaufen folgen Ursache und Wirkung unmittelbar aufeinander. Die wertvollste Wirkung ist dabei ohnehin die auf uns selbst: Was und vor allem in welcher Qualität wir täglich essen, entscheidet maßgeblich darüber, wie gesund – oder auch wie krank – wir sind. Das sollte uns ein bisschen was wert sein.
Lebensmittlabfälle unter der Lupe
Wie setzen sich die vermeidbaren Lebensmittelabfälle zusammen? 57 Prozent fallen im privaten Haushalt an, 19 Prozent beim Außer-Haus-Verzehr, 13 Prozent in der Produktion und 10 Prozent im Supermarkt und Großhandel, wie die Infografik von Land schafft Leben zeigt:
Was kann gegen Lebensmittelabfälle getan werden? Helene Pattermann von Zero Waste Austria im Podcast-Interview:
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Weitere Infos zum Thema Lebensmittelverschwendung auf LandSchafftLeben.at …
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