Was erzählt uns das Abwasser?

Leben & Gesellschaft

Das Abwasser erzählt spannende Geschichten – von Corona bis Bevölkerungswachstum. An der TU Graz beschäftigt man sich mit der Abwasserbelastung für kommunale Kläranlagen und wie man dieser künftig entgegenwirken kann. Etwa mit Aktivkohle und Ozon.

„Abwasser ist anonym“, sagt Günter Gruber vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Landschaftswasserbau an der TU Graz. Chemikerinnen und Chemiker können jedoch vieles aus dem Abwasser herauszulesen – jedenfalls, wenn man weiß, wonach man sucht. Bestes Beispiel ist das Corona-Virus. Das Abwassermonitoring in über 100 Kläranlagen österreichweit zeichnet nach, wie groß das Infektionsgeschehen ist. Die Proben zeigen deutlich: Die tatsächlichen Infektionszahlen liegen geschätzt eineinhalbmal höher, als es die offiziellen Angaben abbilden.

Spannende Geschichten der Bevölkerung verbergen sich im Abwasser

Reifenabrieb und Kupferdächer

Aber nicht nur jede Menge „Informationen“ schwimmen sozusagen in unserem Abwasser, sondern auch viele Schadstoffe. Deshalb ein Blick hinter die Kulissen bzw. vielmehr unter die Straßen der Landeshauptstadt: Graz hat ein Mischwassersystem. Das Abwasser aus den Haushalten und Betrieben wird gemeinsam mit dem Regenwasser über das Kanalnetz abgeführt. Das hat während Trockenzeiten und kleineren Regenereignissen Vorteile: Verunreinigtes Regenwasser wird in der Grazer Kläranlage gereinigt, bevor es zurück in die Mur fließt.

Die Belastung von Regenwasser ist nicht zu vernachlässigen: Chemikalien aus Hausfassaden, Reifenabrieb oder Schwermetalle von Kupferdächern – all diese Stoffe gelangen durch das Regenwasser ins Abwasser. Problematisch wird es bei Starkregen. „Die Kanalisation kann die großen Wassermengen nicht in ihrer Gänze zwischenspeichern. Die Kläranlage in Gössendorf kann pro Tag maximal 276.000 m3 Abwasser aufnehmen. Das ist das dreieinhalb-Fache der Trockenwettermenge und hydraulisch das absolute Limit“, so Gruber. Das überschüssige Wasser muss bei Starkregen derzeit sehr stark verdünnt über geregelte Entlastungen in die Mur einleiten.

Kein Badewasser

Eine gewisse Belastung bleibt daher. „Im Normalfall hat die Mur die Wasserqualität der Stufe 2, das ist ein guter Wert. Trotzdem kann ich nur davon abraten, in der Mur zu baden. Sie hat keine Badewasserqualität. Gerade nach starken Regenfällen ist die Verschmutzung hoch“, betont der Fachmann. Gruber sieht daher Projekte wie den Zentralen Sammelkanal in Graz als unerlässlich, um die Gewässerbelastung in Zukunft weiter zu reduzieren. So genannte „combined sewer overflows“ (CSO) würden künftig für das Abwassermanagement eine noch größere Rolle spielen und in die neue EU-Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser einfließen. Diese überarbeitet die EU-Kommission derzeit.

Kanal in Graz Liebenau
© Foto Fischer

Medikamente und Mikroplastik

„Das Grazer Abwasser erzählt uns auch, dass die Stadt wächst und die Kläranlage mitwachsen muss, um für die Zukunft gerüstet zu sein“, betont der Wissenschaftler. Derzeit ist die Grazer Anlage für einen Einwohnerwert von 500.000 ausgelegt. „Die eigentliche Belastung liegt heute zu Spitzenzeiten schon bei einem Einwohnerwert von 600.000.“ Die geplante Erweiterung der Anlage auf einen Wert von 815.000 sei daher dringend geboten. Auch, weil die Kläranlage vor neue Herausforderungen gestellt wird – Stichwort Medikamente und Mikroplastik. Derzeit gibt es in Österreich keine Grenzwerte für Arzneimittelwirkstoffe oder Mikroplastik – weder für Abwässer noch für Oberflächengewässer. Das Problem sei laut Gruber, dass es keine oder noch zu wenig Kenntnisse über die Wechselwirkung der Substanzen und damit ihrer Toxizität gibt.

Wie bekommt man die Rückstände aus dem Abwasser? Hier sieht er eine Chance in der Erweiterung der Grazer Kläranlage, etwa mit einer vierten Reinigungsstufe. Filter mit Aktivkohle und Membranen oder Ozonbestrahlung können zusätzliche Mikroschadstoffe herausfiltern oder eliminieren. „Die Technologie dazu gibt es, in Deutschland und der Schweiz setzt man sie bereits ein – aber diese Systeme sind sehr energie- und damit kostenintensiv.“

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