Mit Gülle im Tank auf der Überholspur

Forschung und Innovation

Wie wäre es, wenn die Müllfahrzeuge mit dezentral erzeugtem, grünem Wasserstoff fahren? Und der hochreine Wasserstoff dafür in der kommunalen Mülldeponie oder in der regionalen Biogasanlage erzeugt wird – klimaneutral und kostengünstig? Geht nicht …

Doch, das geht. Das Grazer Unternehmen Rouge H2 Engineering AG (RGH2) will genau das ermöglichen. Die Basis ist Biogas aus Gülle oder Deponiegas. Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger in der Energiewende. Doch bisher ist seine Herstellung im großen Stil aufwändig und teuer. Der größte Teil des derzeit produzierten Wasserstoffs wird durch den Einsatz fossiler Energie gewonnen. RGH2 hat nun in Kooperation mit der TU Graz eine Anlage entwickelt, die aus regional produzierter Biomasse hochreinen, grünen Wasserstoff für den dezentralen Gebrauch herstellt.

Reinheitsgrad von 99,999 Prozent

Für die Herstellung von grünem Wasserstoff wird vorrangig Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Sonne verwendet. Das macht diesen Wasserstoff CO2-neutral. Allerdings wird er aufgrund hoher Investitionskosten und der begrenzten Verfügbarkeit von günstigem grünem Strom teuer und ökonomisch unattraktiv. RGH2 geht einen anderen Weg und greift auf ein Verfahren zurück, das an der TU Graz entwickelt wurde. Am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik beschäftigt man sich schon lange mit sogenannten Chemical-Looping-Prozessen. Forschende rund um Verfahrenstechniker Viktor Hacker haben einen solchen Prozess gemeinsam mit RGH2 zu einem nachhaltigen Verfahren zur dezentralen Wasserstofferzeugung weiterentwickelt: die sogenannte „Chemical-Looping Hydrogen-Methode“. Daraus entstanden ist eine kompakte On-Site-On-Demand-Anlage, die – ausgehend von Biogas oder Biomasse – „grünen“ Wasserstoff mit einem Reinheitsgrad von 99,999 Prozent erzeugen kann. Die Anlage ist zudem kompakt und damit dezentral einsetzbar.

Testlauf für H2 aus Deponiegas

„Unser System ist deutlich flexibler nutzbar als die klassischen Gasverfahren und kostengünstiger“, sagt Gernot Voitic, Projektleiter bei RGH2. Auch gibt es deutlich mehr Anwendungsbereiche. So hat man die kompakte Demoanlage im Testverfahren auch zur Holzvergasung in Innsbruck angewendet und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Auf der Deponie Leppe, einer Anlage des Bergischen Abfallverbands in Nordrhein-Westfalen, läuft ein Forschungsreaktor seit Februar 2022 im mehrmonatigen Testbetrieb. Dabei wird die dezentrale direkte Erzeugung von hochreinem Wasserstoff aus Deponiegas, das zu ca. 40-50 Volumenprozent aus Methan besteht, erprobt und weiterentwickelt. Mit Hilfe des Chemical-Looping-Hydrogen-Prozesses wird aus dem im Deponiegas enthaltenen Methangas hochreiner Wasserstoff erzeugt. Für das Projekt sind laut Voitic zwei Fragen interessant: „Wie kann man den Heizwert bei der Deponiegasverwertung in Blockheizkraftwerken steigern und somit deren Lebensdauer verlängern?“ Zudem stehe der Nutzen für die Mobilität im Fokus: „Wie kann der so erzeugte Wasserstoff zur Betankung etwa von Müllfahrzeugen genutzt werden?“ Die ersten Zwischenergebnisse zeigen, dass man auf einem guten Weg zur Lösung dieser Frage ist.

Wasserstoff lässt sich mit den Anlagen von Rouge H2 dezentral erzeugen und speichern, damit er dort zum Einsatz kommt, wo er gebraucht wird.

Methan vs. CO2

Die Deponierung von kommunalen Abfällen verursacht die drittmeisten durch Menschen verursachten Methanemissionen hinter der Erdgas-/Erdölindustrie sowie der Viehzucht. Methan ist als Treibhausgas 25-mal so wirksam wie CO2, weshalb die Methan-Emissionen einen signifikanten Anteil am menschgemachten Klimawandel haben. Ohne ein geeignetes Gassammelsystem entweicht das Methan, das unterirdisch bei der biochemischen Zersetzung der Abfälle entsteht, in die Atmosphäre. In westlichen Ländern wird das Gas in der Regel bereits gesammelt und zu weniger klimaschädlichem CO2 verbrannt. Eine energetische oder stoffliche Verwertung dieses Energieträgers erfolgt jedoch nur in wenigen Deponien. RGH2 möchte mit dem Projektpartner BAV eine ökonomisch und ökologisch attraktive Lösung anbieten, diesen in großen Mengen verfügbaren Energieträger zu sammeln und zu hochwertigem Wasserstoff und nutzbarer Wärme umzusetzen.

 

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