Leben & Gesellschaft
Zukunftsforscher Peter Zellmann im Interview: Warum Work-Life-Balance ein falscher Begriff und der „herbei geschriebene“ Generationenkonflikt ein Missverständnis ist.
Sie haben das Buch „Die Zukunft, die wir wollen – Was den Menschen wirklich wichtig ist“ geschrieben. Was ist den Menschen kurz zusammengefasst denn wirklich wichtig?
Peter Zellmann: In meinem Buch erbringe ich zu vielen Themen den Nachweis, wie sich eine verlässliche Mehrheit die Zukunft der Gesellschaft vorstellt. „Ganzheitlichkeit“ kann ein Schlagwort sein, mit dem man den wichtigsten Zukunftswunsch sehr vieler Menschen zusammenfassen kann. Das „Sowohl als auch“ löst das „Entweder oder“ ab. Kennzeichen dafür ist das Auffallen bisher zu wenig beachteter Werte: Vor allem des Weiblichen, des Ökologischen und des Emotionalen. Herz und Hirn, Ökologie und Ökonomie, Frauen und Männer prägen gleichwertig und damit gleich wichtig die Lebensentwürfe einer klaren Bevölkerungsmehrheit. Das zieht sich durch die wichtigsten Lebensbereiche der Menschen: Gesundheit, Familie und Partnerschaft, Freundeskreis, Beruf und Ausbildung und die Altersvorsorge.
Es geht um Lebensbalance
Stellvertretend für viele Wünsche kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für dieses stark ausgeprägte Harmoniebedürfnis angeführt werden. Arbeit und Freizeit sind daher keine Gegensätze sondern komplementäre Teile eines untrennbar Ganzen. Work-Life-Balance ist also ein falscher, ein irreführender Begriff. Es geht den Mensch um Lebensbalance: Beruf und Privatleben sollen sich nach persönlichen Lebensentwürfen, in den verschiedenen Lebensphasen und nach individuellen Wertvorstellungen zur selbst definierten Lebenszufriedenheit ergänzen. Diese, oft auch als Wertewandel bezeichnete, Entwicklung wurde bisher von der die Rahmenbedingungen gestaltenden Politik viel zu wenig beachtet. Diese ist noch über weite Teile in den Parametern des Industriezeitalters hängengeblieben.
Reden wir da von der europäischen Kultur? Oder gelten die Themen für Amerika und Asien ebenso?
Zellmann: Diese Lebensentwürfe gelten für alle westlich entwickelten Industrienationen und haben sich seit den 1970er Jahren immer stärker herausgebildet. Aufklärung und ein gut entwickeltes Bildungswesen sind das Fundament dieser langsamen Veränderung. Je mehr sich andere Kulturkreise diesem Fortschritt annähern, etwa Teile des asiatischen Raumes, desto eher werden sich die Lebenserwartungen und -einstellungen angleichen. Über Kontinente betrachtet bedeutet das freilich einen Zeitraum von Jahrhunderten. Eine funktionierende Friedenspolitik kann den Weg dafür ebnen. Europa muss dafür Vorreiter sein. Jedenfalls handelt es sich dabei um einen Teil unserer Evolution!
Verlässlicher Anfang für eine nachhaltige Zukunft
Welche Rolle spielt die Umwelt, welche die Nachhaltigkeit?
Zellmann: Verständnis für Ressourcenknappheit, den notwendigen Schutz der Natur als unsere Lebensgrundlage, die Verantwortung für kommende Generationen sind durchaus im Bewusstsein der Menschen angekommen. Wenn auch der „Alltagsegoismus“ diese Einstellung zunächst auf eine spontane, emotionale Zustimmung beschränken mag: In Zukunft wird der rationelle Anteil an diesem Teil der Lebenseinstellung der Menschen stetig wachsen. Sie wünschen es sich, können aber in der täglichen Tretmühle eine Veränderung an sich selbst nur schwer durchführen. Wenn wir allerdings an das steigende Gesundheitsbewusstsein bei vielen Menschen und die Erkenntnis, dass Zeit wichtiger wird als Geld, denken, dann ist ein verlässlicher Anfang für eine nachhaltige Entwicklung durchaus anzunehmen.
Generationenkonflikt ist ein Missverständnis
Wie groß ist der Unterschied zwischen der heutigen Generation und den kommenden?
Zellmann: Eines der vielen (!) Missverständnisse bei der Beschreibung der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung ist der manchmal herbei geschriebene Generationenkonflikt. In der empirischen Sozialforschung lässt er sich jedenfalls nicht nachweisen. Wie zu keiner Zeit zuvor begegnen die Generationen einander mit gegenseitig Respekt und Anerkennung. Warum? Weil alle Beteiligten wissen, dass man in dieser Zeit des Umbruchs aufeinander angewiesen ist. Die Jungen schätzen durchaus die Lebenserfahrung, ihrer Eltern und Großeltern. Warum? Weil diese viel weniger als früher auf ihrer Einhaltung bzw. bedingungslosen Umsetzung bestehen. Und die Alten wissen, dass sie ohne Hilfe der Jungen nicht durch das digitale Zeitalter kommen werden. Anerkannt wird auch, dass in vielen Familien durch den gesellschaftlichen Fortschritt, die Eltern eine für die Kinder notwendige finanzielle Grundlage schaffen konnten. Konkret: Der Unterschied ist viel geringer als das in früheren Zeiten der Fall war. Das drückt sich übrigens auch in den Lebensstilen, etwa im Freizeitverhalten, aus.
Erreicht Marketing die Menschen?
Welchen Wert hat Nachhaltigkeit im Marketing? Wenn man das „Green Washing“ mancher Unternehmen anschaut, ist das Thema wohl mittlerweile ein großer Image-Faktor, oder?
Zellmann: Ein Image-Faktor ja. Eine vernünftige Maßnahme auch. Inwieweit es im Einzelfall wirklich ernst gemeint ist, ist von außen schwer zu beurteilen. Ob das Marketing dann auch die Menschen erreicht, ist jedenfalls nicht nur in Umwelt- oder Nachhaltigkeitsfragen offen. Darüber hinaus soll Marketing die Menschen ja eher „verführen“ als „erziehen“. Daher ist Umwelterziehung wohl weniger von der Wirtschaft als mehr von der Pädagogik zu leisten und auch zu verlangen. Wenn Bereiche der Wirtschaft in diesem Sinne mit gutem Beispiel vorangehen, dann bestätigen diese (noch) die positive Ausnahme von der Regel.
- Im Runden Tisch für ROHSTOFF zeigt er sich überzeugt davon, dass „langsamer nachhaltiger ist. Die Menschen brauchen greifbare Beispiele und die Kommunikation ist der entscheidende Faktor.“
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