Wirtschaft & Standort
Wie gehen wir in Städten und Siedlungen mit der Entsorgung um? In der Stadtplanung bekommt das Thema wenig Aufmerksamkeit, in Siedlungen spielt die Planung der Müllinsel eine der kleinsten Rollen. Doch warum hat das Ressourcenmanagement, das eigentlich immer mehr an Bedeutung gewinnt, in der breiten Bevölkerung keinen hohen Stellenwert? Wo wir ansetzen müssen und was dringend verändert werden muss, diskutieren. am Runden Tisch von ROHSTOFF Alexandra Loidl (Holding Graz), Wolfgang Fischer (Uni Graz), Martin Rainer (Geschäftsführer der Immobilienverwaltungen Huber und Humitsch) und Daniela Müller-Mezin (Fachgruppe Entsorgungs- und Ressourcenmanagement).
Beginnen wir mit einem Status quo am Beispiel Graz – was funktioniert im Bereich Entsorgungs- und Ressourcenmanagement gut? Was nicht?
Alexandra Loidl: Die Infrastruktur für die getrennte Sammlung ist gut, die Müllabfuhr funktioniert ebenso, wie auch die Bestrebungen zur Abfalltrennung in der Bevölkerung, wenn sie auch im dicht besiedelten Gebiet nicht ganz so gut sind.
Daniela Müller-Mezin: Das Thema Abfalltrennung wird über Aushänge in vielen Sprachen vermittelt, aber das reicht nicht. Man müsste für eine bessere Informationsvermittlung in den Siedlungen und Bezirken Personen einsetzen. Und in größeren Siedlungen sollte es ein Belohnungssystem geben, wenn hier gut getrennt wird. Den Menschen ist noch immer zu wenig bewusst, dass ihnen die Restmülltonne am meisten kostet!
Martin Rainer: Ich denke, dass es Verbesserungsbedarf gibt, wie die Informationen für Trennung und Entsorgung an die Bewohner überbracht werden. Die Eigentümerversammlung ist nicht der richtige Rahmen, es bräuchte eine spezielle Aufbereitung des Themas für ein ganzes Grätzel.
Wolfgang Fischer: In Graz gibt es im großen, komplexen Bereich der Abfallwirtschaft viele Erfolge. Beispielsweise den Ressourcenpark – mehr kann man quasi nicht anbieten. Auch Bewusstseinsbildung findet statt, es wird viel geleistet. Dennoch ist Entsorgung in der Bevölkerung kein Thema. Es wird nur wahrgenommen, wenn die Mülltonne nicht abgeholt wird.
Stichwort Wohnbau: Verpflichtende Vorgaben für die Gestaltung der Müllinseln gibt es hier ja nicht. Oft sind die Müllräume in einer finsteren Ecke versteckt. Fällt dieses Thema bei Architekten und Planern zu sehr unter den Tisch?
Alexandra Loidl: Das ist definitiv ein Problem und wir sind die Leidtragenden. Bei der Planung wird dieses Thema einfach viel zu wenig berücksichtigt. Es gibt Ö-Normen für die Abstände, aber für Gestaltung, Größe und die Rücksprache mit den Entsorgern, die wirklich sinnvoll wäre, gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Wünschenswert wäre für mich das Wiener Modell: Bei über 45 Wohneinheiten prüft die MA48 den Plan mit Zu- und Abfahrten usw.
Wolfgang Fischer: Ich bin selbst bei 50 Müllfahrten mitgefahren, habe Standorte erfasst. Die Gemeinden kennen teilweise nicht einmal die Zahl ihrer Mülltonnen. Was Distanzen und Mengen betrifft, ließe sich aber vieles berechnen. Man könnte modellieren, den optimalen Platz bestimmen. Wir haben hier als Universität viele Angebote über Masterarbeiten. Nur so als Anregung für Planer und Gemeinden ...
Daniela Müller-Mezin: Es sollte verpflichtend sein, dass wir als Entsorger miteingebunden werden. Wir sind schließlich die Praktiker vor Ort. Das ist der Stolz der Architekten, dass sie das nicht berücksichtigen.
Alexandra Loidl: Die Tonnen stellen wir einfach irgendwo hin. So wird gedacht ...
Dabei heißt es doch, dass unsere Gesellschaft insgesamt nachhaltiger denkt …
Alexandra Loidl: Wir in der Branche denken Kreislaufwirtschaft, aber in der Gesellschaft ist das nicht generell so. Wir leben da sicher in einer Blase. Aber wir müssen es in die Köpfe der Menschen bringen, dass Entsorgung Teil der gesellschaftlichen Verantwortung ist. Jeder muss Verantwortung übernehmen, vom Architekten angefangen bis zu den Familien.
Martin Rainer: Es gibt aber schon auch gelungene Müllraumsituierungen, beispielsweise in Wien. Dort ist das Gefühl, wenn man hineingeht, besser. Und der Müllraum liegt am Weg nach draußen, man muss keinen Haken gehen. Es braucht keine Normen, sondern die Einbindung des Magistrats, denn es geht um individuelle Lösungen.
Alexandra Loidl: Best-Practice-Beispiele gibt es natürlich auch in Graz – groß genug, gut zugänglich, schön belichtet und beschildert und mit Abstandhaltern für die Deckelöffnung.
Wolfgang Fischer: Ein Raum, der einlädt und schön ist, macht viel aus. Müll hat einen Wert und den muss man ihm wiedergeben. Idealerweise müsste es einen „Kümmerer“ geben, der die Wertigkeit des Raumes kennt und den Müllraum auch gerne betreut.
Alexandra Loidl: Die Idee wurde mit dem Abfall-Coach schon einmal umgesetzt.
Wolfgang Fischer: Insgesamt muss man sagen, dass wir keiner positiven Entwicklung entgegenblicken. Das Littering nimmt extrem stark zu. Und das in einer Gesellschaft, die sehr informiert ist.
Ist das Thema Entsorgung mittlerweile zu komplex? Oft genug muss man überlegen, wo kommt das jetzt genau rein.
Alexandra Loidl: Einfach die Abfall-App runterladen! Aber ja, die Abfallwirtschaft ist genau so komplex wie die Produktwirtschaft. Ich finde die Bestrebungen, technische Sortiermöglichkeiten verstärkt zu nutzen positiv, wie z. B. bei der Zusammenlegung der Leicht- und Metallverpackungen nach Pfandeinführung. Das macht die Sammlung für die Bürgerinnen und Bürger einfacher.
Wolfgang Fischer: Untersuchungen haben gezeigt, dass Kontrollen teilweise zur Besserung geführt haben, was Fehlwürfe betrifft.
Daniela Müller-Mezin: Saubermacher hat das in Feldkirchen mit Wertstoffscannern probiert. Da haben die Bewohner ein Feedback bekommen. Aber das Problem sind ja große Siedlungen in der Stadt. Dort sollte man ansetzen und zwar am besten mit Belohnungen. Eine Strafe gibt es ja quasi schon, wenn wegen der vielen Fehlwürfe mehr Restmüll verrechnet werden muss.
Wolfgang Fischer: Aber haben wir es vielleicht schon ein bisschen übertrieben mit den vielen unterschiedlichen Fraktionen?
Daniela Müller-Mezin: Bei Glas und Papier hat die getrennte Sammlung schon einen echten Mehrwert. Aber man müsste beim Produktdesign anfangen. Und aufs Jahr gesehen, müsste man 5 Euro pro Bürger mehr verlangen, dann könnte man mit dem Einsatz von neuen Technologien viel verbessern, doch eine solche Forderung ist unpopulär. Bio tragen wir alle vor uns her, aber wir scheitern seit 20 Jahren daran, dem Thema Müll und Rohstoffe diese Wertigkeit zu geben.
Alexandra Loidl: Bei Abfallarten wie Glas und Papier ist es doch gelungen. Da hat jeder ein schlechtes Gewissen, wenn er es nicht ins Altglas bzw. Altpapier gibt.
Wolfgang Fischer: Die sind klar, das kommt der Psychologie des Menschen entgegen. Aber wer weiß schon, dass die eine Styroporplatte als Leichtverpackung lizensiert ist, wenn die Waschmaschine darauf geliefert wurde, aber die andere Styroporplatte, nicht, weil sie für Fassaden verwendet wird. Das kann man kaum erklären.
Welche Veränderungen sollte es in den nächsten 10 Jahren geben?
Alexandra Loidl: Eine erweiterte Herstellerverantwortung, wie es sie jetzt bereits für Elektrogeräte gibt. Und ein Umdenken im Produktdesign in Richtung Reparierbarkeit und bessere Aussortierbarkeit für die weitere Verwertung. Außerdem erwarte ich bessere Technologien, sodass wir auch aus Aschen noch Dinge herausbekommen. Und ich hoffe, dass das Thema Verbrennung dann nicht mehr nur negativ behaftet ist. Verbrennung bedeutet auch, dass wir den Energieinhalt sinnvoll nutzen, z. B. für Wärme- oder Stromproduktion.
Daniela Müller-Mezin: Ich hoffe, dass wir dann im Abfall kurze Wege denken und eine Lösung finden, wie wir mit den Batterien, die in so vielen Produkten bis zum Kinderschuh drinnen sind, in der Aufbereitung umgehen. Wir haben als Entsorger schon so viel in den Brandschutz investiert, aber da muss sich was ändern. Das ist ein Riesenthema und so kann es nicht weitergehen!
Martin Rainer: Aufklärung und Bewusstseinsbildung müssen anders funktionieren als heute. In den Hausverwaltungen sind wir bereit, hier mitzutun. Siedlungen mit 100 Einheiten müssten gecoacht werden, da muss jemand vor Ort sein.
AM RUNDEN TISCH:
- Alexandra Loidl, Leitung Abfallwirtschaft der Holding Graz
- Wolfgang Fischer, Institut für Geographie und Raumforschung an der Uni Graz, arbeitet an Forschungsthemen wie Abfallwirtschaft der Zukunft, Stadt- und Regionalplanung, nachhaltige Regionalentwicklung
- Martin Rainer, Geschäftsführer der Immobilienverwaltungen Huber und Humitsch
- Daniela Müller-Mezin, Obfrau der Fachgruppe Entsorgungs- und Ressourcenmanagement der WKO Steiermark
Alexandra Loidl ist Leitung Abfallwirtschaft der Holding Graz.
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Wolfgang Fischer arbeitet an der Uni Graz am Institut für Geographie und Raumforschung an Forschungsthemen wie Abfallwirtschaft der Zukunft, Stadt- und Regionalplanung, nachhaltige Regionalentwicklung.
Martin Rainer ist Geschäftsführer der Immobilienverwaltungen Huber und Humitsch.
Daniela Müller-Mezin ist Obfrau der Fachgruppe Entsorgungs- und Ressourcenmanagement der WKO Steiermark.