Leben & Gesellschaft
Über die Herausforderung, Menschen nicht nur im Kopf zu erreichen, 6 Säcke mit Abfall in nur einer Tonne nach skandinavischem Vorbild und was es heißt, wenn von 100 Prozent Müll die Rede ist. 3 Aspekte der Bürgerbeteiligung bei Abfallvermeidung und -sammlung in Theorie und Praxis.
Nach wie vor ist der Anteil der Fehlwürfe sehr hoch und zu viele Wertstoffe landen als Abfall im Restmüll. Bleibt die Frage, wie man Bürger dazu bringt, sorgsamer und achtsamer zu werden – sowohl bei der Mülltrennung als auch bei der Abfallvermeidung. Darauf Antworten zu finden ist Forschungsinhalt von Ulrike Gelbmann und Martina Zimek von der Universität Graz. Ziel ist ein Punktekatalog, der zeigt, mit welchen Instrumentarien der Bewusstseinsbildung man welche Gruppen erreichen kann – und welche eben nicht. Die Herausforderung liegt im Erkennen und richtigen Zuordnen der Zielgruppen. „Ich darf nicht versuchen, sie zu zwingen, ich kann sie höchstens motivieren, es selbst zu wollen. Und man muss ‚ihre‘ Sprache sprechen, sodass man sie beim Herzen erwischt“, sagt Zimek.
Gemeint ist die intristische Motivation, die aus der Aufgabe heraus entsteht und Ziele hat, wie etwa Verantwortung übernehmen oder persönliches Wachstum erreichen. Kein leichter Weg. „Die Leute jeweils auf die nächsthöhere Stufe hinaufzuheben ist aufwändig. Der Pfad vom Denken zum Handeln wird steiler und schmäler, man muss immer direkter auf die jeweilige Zielgruppe zugehen, der Anreiz muss immer stärker werden“, ergänzt Gelbmann.
Abfall trennen nach skandinavischem Vorbild
Um einen solchen Anreiz zu schaffen, orientiert man sich an der Westfälischen Hochschule in Deutschland an einem aktuellen Projekt im Hohen Norden. In skandinavischen Städten hat sich der Ansatz schon etabliert: Statt jede Müllsorte in die vorgesehene Tonne zu werfen, sammelten und trennten rund 600 Haushalte den Müll in 6 verschiedenfarbigen Säcken und warfen alles in nur eine Tonne – zu Papier, Restmüll, Verpackungen/Kunststoff und Bio kamen noch Elektroschrott und Altkleider dazu. Im Versuch wurden diese Säcke nach der Abholung vom Entsorger händisch auf die einzelnen Fraktionen aufgeteilt. Die Tonne wurde bei den Einfamilienhäusern nicht zu bestimmten Zeiten abgeholt, sondern erst, wenn die Meldung an den Entsorger kam, dass diese voll sei. „Dies konnte man via Handy-App, E-Mail, WhatsApp oder Telefonanruf durchgeben. Bis auf die Telefonate wurde alles vollautomatisch digital erfasst und verarbeitet“, erklärt Tobias Althoff von der Westfälischen Hochschule.
Müllcontainer sortieren den Abfall
Der hingegen in Wohnanlagen eingesetzte eigens entwickelte Müllcontainer ist mit einem Sensor ausgerüstet. Er erkennt die Farbe des Beutels und auch, ob etwa im Biomüll Fremdstoffe sind. Je nachdem entriegelt die Technik die richtige Klappe und hilft so beim Sortieren. Dieser Müllcontainer gibt sogar selbst Bescheid, dass er voll ist und der Entsorger ihn abholen kann. Das wäre das Ende für überfüllte Mülltonnen, aber auch von halb leeren Tonnen bei festen Abholterminen. „Es zeigt sich bisher, dass sowohl bei Verpackungen/Kunststoff als auch bei Bioabfall die Fehlwürfe zurückgingen. Außerdem gab es weniger Leerungsvorgänge“, so Althoff. Durch die dynamische Abholung der Siedlungsabfälle könnten je nach Versuchsgebiet 20 bis 40 Prozent der Behälterleerungen eingespart werden, sagt der Experte: „Wir können durchaus empfehlen, auch in unseren Breiten darüber nachzudenken. Das Modell mit 6 verschiedenen Säcken hat sich in Eskilstuna, Schweden, mit 45.000 Einwohnern und jährlich 15.000 Tonnen Müll bereits bewährt. Die weitere Auswertung wird zeigen, ob das ‚Sack-im-Behälter‘-Sammelsystem auch in deutschen Städten funktioniert.“
„Auch wenn bei uns das Bewusstsein zur Mülltrennung hoch ist, schauen wir uns solche Versuche in anderen Ländern genau an“, betont Daniela Müller-Mezin von der Fachgruppe Entsorgungs- und Ressourcenmanagement der WKO Steiermark: „Alle Maßnahmen, die uns helfen, den Anteil von sortenrein getrenntem Abfall zu steigern, wirken sich im Sinne des Kreislaufes und des Recyclings positiv aus.“
Abfall oder Wertstoff? Die App gibt Auskunft
Zurück nach Österreich. Auch hier gibt es aktuell ein Pilotprojekt von Saubermacher und Energie Steiermark zu intelligenten Mülltonnen. Über die App „Daheim“ können sich die Teilnehmer mit ihrem Abfallbehälter verbinden und erfahren, wie hoch darin der Anteil an Wertstoffen ist. Möglich wird das durch spezielle Sensoren an Mülltonnen und Müllautos, die miteinander kommunizieren und mit diesen Daten die App füttern. Warum solche Informationen für die Bürger wichtig sind, erklärte Ralf Mittermayr, Vorstandssprecher von Saubermacher:
„Wenn jemand sagt, in der Tonne seien 100 Prozent Müll, dann sind erfahrungsgemäß 40 Prozent Wertstoffe, Papier, Metalle und 25 Prozent biogene Anteile, Lebensmittel. Das heißt, nur ein Drittel des Mülls ist wirklich Restmüll.“