Wissenschaft & Forschung
Grazer Studierende haben ausgerechnet, was ein Umstieg von derzeit rund einem Drittel auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050 kosten würde. Ein so komplexes Thema nur aus ökonomischer Sicht zu betrachten, greift aber viel zu kurz. Außerdem zeigen Erfahrungen aus Deutschland, dass man das Ganze nicht über den Zaun brechen darf.
Österreich im Jahr 2050. Die Photovoltaikanlage am Hausdach ist ebenso selbstverständlich wie das Elektroauto in der Garage. Und kein Mensch kommt mehr auf die Idee, das Windrad auf der Alm als „Verschandelung“ des Landschaftsbildes zu bezeichnen. Für ihr interdisziplinäres Projekt „Energieversorgung Österreich 2050“ haben Studierende von Karl-Franzens- und Technischer Universität Graz berechnet, was ein Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien kosten würde. Derzeit kommt in Österreich rund ein Drittel der Energie aus erneuerbaren Quellen. Dass es in etwas mehr als 30 Jahren 100 Prozent sind, ist ein „durchaus optimistisches Szenario“, bestätigt Udo Bachhiesl von der TU Graz, einer der betreuenden Professoren. „Die Berechnungen der Studierenden zeigen aber ganz klar, dass selbst dieses optimistische Ziel realistisch ist.“ Und: Der Ausbau auf 100 Prozent erneuerbare Energien ist ein durchaus leistbares Szenario. Die Kosten für neue Anlagen und das Revitalisieren von bestehenden würden jährlich etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, exklusive des erforderlichen Infrastrukturausbaus (zB Stromnetze). Wenn man von dem heutigen Drittel auf 100 Prozent erneuerbare Energie umstellt, reduziert sich der ökologische Fußbadruck immens: Er würde – so die Berechnungen der Studierenden – nur 1,3 Prozent des heutigen Systems entsprechen.
Energiewende in Deutschland
Dennoch ist die Thematik komplex, bestätigt TU-Forscher Bachhiesl. „Man darf das Ganze auch nicht über den Zaun brechen, denn wesentlich ist eine gesamtsystemische Betrachtung.“ Die Erfahrungen mit der Energiewende in Deutschland, bei der man den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2050 auf 80 Prozent steigern will, bestätigen dies. „Das Ganze ist einfach zu schnell angelaufen. Die Anlagen wurden immens stark gefördert, beim Strompreis gab es einen Aufschlag. Dieser war dann für einkommensschwache Schichten aber kaum mehr leistbar, weshalb man da wieder zurückgerudert ist.“
Viele kleine Puzzlesteine
Zu wenig beachtet wird auch oft, dass „die Erneuerbaren“ auch ihre Eigenheiten haben und sich das System ändern muss – etwa hin in Dezentralisierung. Statt weniger großer Kraftwerke gibt es viele kleine, die immer öfter von Privaten betrieben werden, wie es etwa bei den Photovoltaikanlagen der Fall ist. Damit ist eine Person gleichzeitig Produzent und Konsument. Hinzu kommt, dass man Energie mit Sonne und Wind nur dann produzieren kann, wenn sie verfügbar sind und daher diese Flexibilität im Gesamtsystem abgebildet sein muss. Was die Speicherung im großen Stil betrifft, gibt es aber nach wie vor neben der klassischen Speicherung in Pumpspeicherkraftwerken kaum ökonomisch effiziente Lösungen. Bachhiesl erwartet sich hier aber auch nicht „den großen Wurf“. „Es werden eher viele kleine Puzzlesteine sein, die in Summe die Energiewende ermöglichen.“ Einer dieser Puzzlesteine sind flexible Strompreise: Der Konsument bezahlt weniger für den Strom, wenn es gerade viel davon gibt – weil etwa die Sonne scheint oder die Windstärke passt. Ein weiterer Ansatz ist, in Spitzenzeiten die überschüssige Energie in Batterien oder Pumpspeicherkraftwerken zu speichern. Dies erfordert aber hohe Investitionskosten.
Gesamter Lebenszyklus entscheidend
Geforscht wird im Bereich der erneuerbaren Energien an allen Ecken und Enden, auch die zahlreichen neuen Konzepte der Autohersteller für andere alternative Antriebe wirken laut Bachhiesl als Turbo. Wirklich nachhaltig ist ein Elektroauto nämlich nur dann, wenn es auch mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben wird. Und wenn der gesamte Produktlebenszyklus – zum Beispiel auch die Verwertung der Batterien in den Elektroautos – berücksichtigt wird. Auch bei Unternehmen aus der Fachgruppe Entsorgungs- und Ressourcenmanagement leisten dazu ihren Beitrag, etwa die Firma Saubermacher. „Ziel ist es, die europäische Marktführerschaft im Bereich der Batterieverwertung zu erreichen“, sagt Saubermacher-Technikvorstand Gerhard Ziehenberger. „Der Hauptfokus des aktuellen Forschungsprojekts Frontrunner liegt bei den Lithium-Ionen Batterien aus der Elektromobilität, für die wir unterschiedliche Verwertungsmöglichkeiten testen.“
Der Mensch muss mitziehen
Udo Bachhiesl von der TU Graz erwartet sich in den nächsten Jahren noch viel Bewegung in diesem Metier. Eines steht aber außer Frage: Egal wie ausgefeilt und nachhaltig eine Technologie ist, am „Faktor Mensch“ führt nichts vorbei. Weitaus nachhaltiger als eine erneuerbare Energiequelle ist es nämlich nach wie vor, wenn der Mensch weniger Energie verbraucht. Das heißt keineswegs, dass man ganz aufs Auto oder diverse Elektrogeräte verzichten muss. Schon wenn man das eine oder andere Mal das Fahrrad oder die Füße anstelle des Autos nützt, etwas weniger stark aufs Gaspedal steigt oder die Wäsche mit 60 statt 90 Grad wäscht, wirkt sich das positiv auf den ökologischen Fußabdruck aus (siehe auch Energiespar-Tipps des WWF). Ein zu strenger Wind ist kontraproduktiv, Gewohnheiten lassen sich mit erhobenem Zeigefinger kaum verändern. Es braucht den inneren Antrieb und das Bewusstsein, dass Energiesparen nicht weh tut. Oder nur ein bisschen. Aber dieses „Bisschen“ sollte einem ein gesundes Weltklima wohl wert sein.
(c) Hintergrundbild: Wien Energie/Ian Ehm
Österreich 2050 – Wie grün kann unsere Stromversorgung werden?