Diskussionsteilnehmer im Cafè Omas Teekanne

„Wir müssen endlich die Therapie starten“

Wirtschaft & Standort

Die Diagnose ist bekannt: In Sachen Nachhaltigkeit besteht dringender „Therapiebedarf“. Aber verändern sich unsere Werte? Sind wir bereit, den höheren Preis der Nachhaltigkeit zu bezahlen? Zukunftsforscher, Architekt, Fair-Fashion-Pionierin und Ressourcenmanagerin diskutieren darüber am Runden Tisch.

Ganz anders als vor wenigen Jahren sieht man Abfall heute als wertvollen Rohstoff. Ein bewusster Umgang mit Ressourcen wird in immer mehr Bereichen zum Thema. Ein deutlicher Wertewandel?

Peter Zellmann: Werte wandeln sich nicht. Unsere Einstellung zu Werten hat sich gewandelt, wir werten und bewerten heute anders als früher.

Auch was den Wert der Nachhaltigkeit angeht?

Markus Pernthaler: Der Begriff Nachhaltigkeit ist mittlerweile so abgegriffen, dass er beinahe belanglos geworden ist. Es gibt zwar immer mehr Menschen, die sich auf eine nachhaltigere Bauproduktion einlassen. Trotzdem ist es inakzeptabel, wieviel Sondermüll noch immer produziert wird. Ein Problem ist, dass statt Lebenszykluskosten meistens nur die Investitionskosten betrachtet werden. Die nach einem Verkauf anfallenden Wartungs-, Instandhaltungs- sowie Energiekosten werden nicht von den Errichtern, sondern von den Endkunden getragen. Es braucht Modelle, die ökologisches Bauen fördern und dessen Gegenteil steuerlich sanktionieren.

Lisa Muhr: Ich würde nicht strafen, sondern Anreize für faires Wirtschaften schaffen. Und es braucht Chancengleichheit. In der EU haben wir zum Beispiel für Mode strenge Gesetze: Chemikalienverordnung, soziale Auflagen etc. In Asien gibt es fast keine Gesetze und deshalb ist auch das Preisgefüge ein ganz anderes.

Zellmann: Das ist alles richtig. Die Diagnose ist längst getroffen und uns allen bekannt, wir müssen die Therapie starten. „Die Politik sollte …“ ist illusorisch. Und die Wirtschaft wird auch nicht vorpreschen. Ich kann der Wirtschaft nicht vorwerfen, dass sie in Zahlen und Wachstum denkt.

Nachhaltigkeit aus Unternehmenssicht


Unternehmer müssen letzten Endes überlebensfähig sein …

Daniela Müller-Mezin: Es ist aber ein großer Unterschied, wie ich das für mich als Unternehmerin definiere. Geld wollen und müssen wir alle verdienen, das ist ja legitim. Die Frage ist nur: Mit wieviel bist du zufrieden? Will ich immer mehr und vergesse die Nachhaltigkeit dabei? Oder überlege ich mir, wie ich umweltschonend arbeiten kann, weniger Kilometer fahre … Das ist eine firmenpolitische Einstellung. Und natürlich müssen auch die Menschen bereit sein, dafür etwas auszugeben.

Frau Muhr, Sie haben mit Ihrem Modelabel „Göttin des Glücks“ die Erfahrung gemacht, dass der Preis der Nachhaltigkeit den meisten Menschen (noch) zu hoch ist. Waren Sie zu früh dran?

Muhr: Ja, wir waren in gewisser Weise Pioniere, vor 12 Jahren hat noch keiner von Fair Fashion gesprochen. Die Modebranche ist eine der dreckigsten Branchen, man kann sich kaum vorstellen, was da an sozialer Ausbeutung passiert. Wenn du das einmal siehst, kannst du gar nicht mehr anders, als es nachhaltig zu machen. Wir haben eine Nische geschaffen, die jetzt durch Greenwashing stark gebeutelt wird. Das ist einer der Gründe für unsere Insolvenz. Ich glaube aber dennoch, dass wir in einer Übergangsphase sind, es tut sich was. Die großen Ketten bieten mittlerweile zumindest Bio-Baumwolle an. Das allein ist viel zu wenig, weil es über die weitere Produktionskette gar nichts aussagt. Aber ich hoffe auf die Konsumenten, die mehr und mehr nach fairen Produkten fragen werden.

Nachhaltigkeit vermitteln

Müller-Mezin: Wenn man mit jungen Menschen spricht, merkt man schon, dass es beim Konsumverhalten in Bezug auf Mode an Bewusstsein fehlt. In meinem eigenen Umfeld merke ich, dass Belehrungen da aber wenig nützen.

Zellmann: Ein erhobener Zeigefinger ist als Methode nicht zielführend.
Auch indem ich den Leuten sage, wir hätten zur Rettung der Erde keine Zeit mehr, verliere ich sie eher, weil dann ja ‚eh alles zu spät ist‘. Ich muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen − bei ihren aktuellen Bedürfnissen. Wenn man aus ökologischer Sicht voll Stolz verkündet, dass immer weniger junge Menschen ein Auto haben, motiviert man die Mehrheit wahrscheinlich ebenfalls nicht: Wenn die positive Entwicklung aktuell etwa 20 Prozent der jungen Menschen betrifft, dann lehnen sich die restlichen 80 Prozent zurück und denken, „es ist eh alles in Ordnung, auf mich kommt es jetzt nicht mehr an“. Auch beim Reisen ist Nachhaltigkeit noch eher eine Nische, die Mehrheit der Urlauber ist egoistisch. Urlaub ist die populärste Form von Glück. Selbst wenn man im Alltag schon ökologiebewusst handelt, ist einem im Urlaub dann das Hemd doch näher als der Rock.

Sind Best Practice Beispiele hier ein Ansatz?

Pernthaler: Ja, auf jeden Fall. Wir haben die Smart City Graz – ein Wohnquartier der Zukunft für 3.000 Menschen – ganz bewusst als Modell entwickelt. In diesem Prozess haben alle gelernt. Der beispielsweise entwickelte Mobilitätsvertrag wird heute in der ganzen Stadt angewendet. Wir haben ca. 0,7 Parkplätze pro Wohnung, das reicht, wenn man Alternativen anbietet: gut ausgebauter öffentlicher Verkehr, Carsharing etc. Die Dieselverbote in Deutschland zeigen die Aktualität des Themas und den Paradigmenwechsel. Wir stecken wohl noch zu sehr im System, aber die Zeichen einer Wende werden sichtbar. Anderes Beispiel: Vielleicht finden wir ja auch ein neues Mülltrennsystem. Ich halte es für methodisch überholt, dass wir unsere Städte mit Abfallbehältern zumüllen. Bei einer zentralen Aufbereitung hätten wir darüber hinaus viel weniger Fehlwürfe.

Müller-Mezin: Die Fehlwurfquote steigt leider, viele Menschen verlassen sich auf die Sortiertechnologien. Es stimmt zwar, dass Scanner und Co hier wertvolle Arbeit leisten, aber wir brauchen dennoch die Hilfe des Menschen.

Wertwandel in vollem Gange


Wird sich der Wert, den wir unseren Ressourcen beimessen, in Zukunft verändern?

Zellman: Ja, die „grünen Nischen“ werden hoffentlich immer größer. Aber bis solche Veränderungen passieren, braucht es eben Zeit. Langsamer ist nachhaltiger. Die Menschen brauchen greifbare Beispiele und die Kommunikation ist der entscheidende Faktor.

Muhr: Große gesellschaftliche Umbrüche sind noch nie von heute auf morgen umgesetzt worden. Für die Modewelt wird das wohl noch 20 Jahre dauern – ähnlich die Lebensmittelbranche. Aber dennoch: Es ist wie auf einem Party-Dampfer. An der Reling steht ein Mensch, der schreit, weil er Gefahr sieht. Das hören bei weitem nicht alle, aber es wird von Nachbar zu Nachbar weitergegeben. Und irgendwann ist die kritische Masse groß genug, dass sie gehört wird.

Am Runden Tisch:

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