2 Anzüge im Kleiderschrank

Verzicht als Lifestyle

Leben & Gesellschaft

Weniger ist mehr – nach diesem Motto richten immer mehr Menschen ihren Lebensalltag aus. Das geht vom Verzicht auf einzelne Produkte bis zur Entscheidung, ein Leben völlig ohne Geld zu führen – wie die 2016 verstorbene Psychotherapeutin Heidemarie Schwermer es rund 20 Jahre vorgelebt hat.

Der Minimalismus als Gegenströmung zum immer noch vorherrschenden Materialismus ist keine Erfindung unserer Zeit – Minimalisten gab es bereits in der Antike. So empfahlen dereinst schon Stoiker wie Seneca bewährte Tugenden wie Ordnungssinn und Maßhalten, Selbstbeherrschung und Verzicht. Nur so sei der Weg zum persönlichen Lebensglück möglich.

Loslösen vom Konsum als identitätsstiftende Haltung

Demnach lässt sich aus dem Sprichwort „Besitz belastet“ auch der Umkehrschluss ziehen – nämlich „Verzicht befreit“. Oft stellt sich die Frage: „Besitze ich die Dinge oder besitzen die Dinge mich?“ Letztlich erfordern Besitztümer Aufmerksamkeit. Das Haus muss instand gehalten werden, der Stapel neuer Bücher gelesen und das neue Kleid ausgeführt werden. Machen die vielen Dinge überhaupt glücklich? Glücksforscher betonen, dass reiche Menschen nicht zwingend glücklicher sind als arme, denn man gewöhnt sich sehr rasch an einen höheren Lebensstandard und strebt weiter nach oben. Langzeitstudien der Harvard Universität malen folgendes Bild: „Gute soziale Beziehungen, sowohl im Freundeskreis als auch in der Familie, machen uns glücklicher und gesünder“, so der US-Psychiater und Studienleiter Robert Waldinger.

2 Anzüge im Kleiderschrank

Weniger (Anzüge) ist oft mehr: Immer mehr Menschen üben sich in bewusstem Verzicht.
(Credit: Lunghammer)

Weniger ist mehr!

Immer mehr Menschen haben das (für sich) erkannt und verzichten gerne auf einen Teil ihres Einkommens, um die – durch Teilzeitarbeit – gewonnene Freizeit lieber mit Familie und Freunden zu verbringen. Einschränkungen in puncto Wohnraum und Besitz werden dafür gerne in Kauf genommen. Man wohnt in Microhäusern, setzt auf Foodsharing oder Containering, kauft Second-Hand und leiht lieber statt zu kaufen – immer nach dem Motto „Lass weg, was dich nicht glücklich macht“. Auf die Spitze getrieben hat es die mittlerweile verstorbene Psychotherapeutin Heidemarie Schwärmer, die nicht nur ihr Haus verkaufte, sondern letztlich sogar ihr Bankkonto und ihre Sozialversicherung aufkündigte.

Reduktion als Prozess

Bei der Salzburger Designerin Simone Kamleitner begann der Prozess mit dem Räumen des Kellers. „Weil man in Wirklichkeit die Dinge gar nicht braucht, die da unten sind“, wie sie betont. Mittlerweile wohnt sie seit 3 Jahren in einem kleinen, aber feinen Microhaus auf 27 m², was natürlich eine weitere Reduktion sämtlicher Besitzgüter auf das Wesentliche bedingte und das Leben durchaus vereinfacht.
Bei einem Kleiderschrank von geschätzten 50 cm Breite dauert der Entscheidungs­prozess am Morgen recht kurz. Und schließlich gibt es im Leben wichtigere Entscheidungen, als „Was ziehe ich an?“ – wie auch schon der ehemalige US-Präsident Barack Obama für sich feststellte und darum nur blaue und graue Anzüge trug.

Trend zum Verzicht – nur für die junge Generation?

„Die Kriegsgeneration hat am meisten – hier wird alles aufgehoben“, stellt Paul Klimbacher, Berufsgruppensprecher der Entrümpler, fest. Jugendliche sammeln praktisch nichts und auch beim Altwarenhandel ist zu bemerken, dass die Käufer großteils der Generation 40+ angehören – so zumindest seine Erfahrung. Andererseits sind gerade in der älteren Generation oft Menschen zu finden, die sich leicht von ihrem Hab und Gut trennen – frei nach dem Motto „Mitnehmen kann ich eh nichts …“ Verzicht und der Fokus auf das Wesentliche sind aber in jedem Fall Trends. Wer sie für sich entdeckt hat, findet unzählige Tipps und Ratgeber, wie man durch Reduktion und Verzicht zu einem sinnerfüllteren Leben findet. Und wer möchte, kann sich seit Mai sein Tiny House sogar beim Kaffeeröster online bestellen – sofern er nicht schon aufs Internet verzichtet …

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